Wer schon einmal im Mai und Juni Urlaub auf dem Rügener Mönchgut gemacht hat, weiß, dass nicht nur das Tuten des Rasenden Rolandes zur typischen Geräuschkulisse dieser Gegend gehört, sondern inzwischen auch der Ruf des Karmingimpels. Okay, der Ruf des Karmingimpels ist anders als der Rasende Roland nicht überall und nicht ganzjährig zu hören. Fakt ist aber, dass Karmingimpel seit Jahrzehnten regelmäßig in manchen Ortschaften oder an deren Rand, an einigen Steilküsten sowie in anderen geeigneten Habitaten auf Rügen auftauchen. Das typische "nice too see you", die immer gleiche Strophe des farbenprächtigen Männchens ist an vielen Orten präsent. Es gibt nicht wenige Stare (und auch Menschen), die diese Strophe nachahmen ... und meistens sogar eine Antwort bekommen. Karmingimpel sind die letzten Zugvögel, die aus ihren Winterquartieren zu uns zurückkehren. Erst ab Mitte, eher Ende Mai kommen die Vögel auf Deutschlands größter Insel an und die Strecke, die sie dafür zurücklegen müssen, ist unglaublich lang. Karmingimpel überwintern in Nord- und Zentralindien sowie in China. Die Zeit, in der vogelinteressierte Menschen den Karmingimpel beobachten können, ist also relativ kurz: Denn unmittelbar nach Abschluss der Brut - so etwa ab Mitte August - treten die Vögel den Rückweg in die Überwinterungsgebiete an.
Karmingimpel gehören zur berühmten Familie der Finken, wie unschwer an ihrem Schnabel zu erkennen ist. Mit einer Größe von gut 13 bis 15 Zentimetern sind sie ungefähr so groß wie Gimpel, aber nicht so rundlich, sondern schlank mit langem Schwanz. Die bräunlichen Weibchen können leicht mit anderen Vögeln verwechselt werden. Kennzeichnend sind der kräftige Schnabel und das schwarze, hervortretende Perlauge. Jungvögel sind dem Weibchen sehr ähnlich, tragen aber kräftige Olivtöne. Je jünger ein Karmingimpel ist, um kräftiger ist das Oliv in seinem Gefieder. Erst ab einem Alter von ungefähr drei Jahren tragen die Männchen das namengebende Karminrot an Kopf, Brust und Bürzel. Die Ausdehnung des Rots ist von Vogel zu Vogel unterschiedlich. An Kopf, Brust und Bürzel ist es aber immer vorhanden. Wer jetzt denkt, die leuchtend gefiederten Männchen seien leicht zu entdecken, zumal ihr Ruf sie ja auch noch verrät, der irrt. Sitzt ein Karmingimpel nicht auf einer laublosen Sitzwarte, muss man schon ein äußerst gutes Auge haben. Die Vögel sind besser getarnt als man denkt. Apropos Sitzwarte: Die Männchen sitzen vor allem in der Balzzeit auf ihren Sitzwarten im Revier und schmettern ihr Lied, und zwar meist auf den mittleren Ästen, nur selten auf dem obersten Ast. Gesagt sei außerdem, das nicht nur ausgefärbte Männchen singen. Auch junge Männchen singen, was das Zeug hält.
Karmingimpel sind grundsätzlich Pflanzenfresser, die sich im Frühjahr von den Knospen der Büsche und Bäume, später im Jahr von Sämereien verschiedenster Pflanzen ernähren. Insekten werden auch vertilgt, sind aber lediglich Zubrot. Der Nistplatz liegt sehr gut versteckt und relativ niedrig im Gesträuch. Die Vorliebe der Vögel für pflanzliche Kost und einen versteckten, sicheren Brutplatz spiegelt sich in der Wahl des Lebensraumes wieder.
Bevorzugt werden halboffene bis offene Landschaften mit verschiedensten Bäumen und Sträuchern, deren Knospen nach der Rückkehr aus den Überwinterungsgebieten die Hauptnahrung der Karmingimpel sind. Eine artenreiche Krautschicht sowie angrenzende Wiesenflächen, die eine möglichst große Vielfalt an Pflanzen bieten, sind ebenfalls unabdingbar, da die Vögel auf die Samen angewiesen sind. Auf dem Mönchgut besiedeln Karmingimpel zum Beispiel inaktive Steilküsten, die mit unterschiedlichen Gehölzen bewachsen sind und in deren Umgebung sich artenreiche Wiesen befinden (zum Beispiel am Lobber Ort, oder am Göhrener Südstrand, Steilufer am Zickerschen Höft). Aber auch in der Nähe von Salz- und anderen Feuchtwiesen können Karmingimpel angetroffen werden (zum Beispiel in der Nähe von Moritzburg oder bei Thiessow und Klein Zicker). Hin und wieder brütet er sogar in dörflichen Ortschaften, sofern es Grundstücke gibt, die passende Lebensbedingungen bieten. Wenn Sie auf der Suche nach Karmingimpeln sind, beachten Sie bitte, dass die Vögel sich oft in Naturschutzgebieten aufhalten. Es verbietet sich daher, in den Steilhängen rumzukraxeln (auch in Ihrem eigenen Sicherheitsinteresse) oder die Wiesenflächen zu betreten, sofern diese als Schutzgebiet gekennzeichnet sind.
Karmingimpel sind übrigens Neulinge in unserer einheimischen Vogelwelt. Das Verbreitungsgebiet reicht heute von Kamtschatka über die Pazifikküste bis nach Skandinavien sowie Mitteleuropa. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es eine erste Welle der Ausbreitung in Richtung Westen, die bis heute mit Unterbrechungen/Stagnationen anhält. Das heißt, mal gab es Ausbreitung Richtung Westen, mal Rückzug, mal blieben die bereits angestammten Brutgebiete konstant und ohne Zuwachs. Deutschland stellt derzeit die westliche Verbreitungsgrenze der Karmingimpel dar. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Bestand der Karmingimpel weiter entwickelt und ob die Ausbreitung nach Westen anhält oder nicht. Eine spannende Frage ist dabei auch, ob alle Karmingimpel ihren extrem weiten Zugweg nach Indien bzw. China beibehalten oder ob über die Zeit doch einige nach Südeuropa beispielsweise ausweichen werden.
In manchen Vogelbüchern steht, dass der Karmingimpel wenig scheu sei. Das kann ich nicht bestätigen. Die Vögel sind sehr aufmerksam und fühlen sich schnell gestört. Am besten kann man sie von Ende Mai bis Ende Juni morgens beobachten, wenn keine oder wenig Menschen zum Beispiel an den Stränden unterwegs sind. Dabei sind die Weibchen aufgrund ihrer unscheinbaren Färbung natürlich viel schwerer zu entdecken als Männchen. Aber auch Karmingimpel-Weibchen sitzen ab und zu auf den Sitzwarten des Brutreviers (wo sie jeden anderen Vogel rabiat vertreiben). Beginnt die Brut, werden Karmingimpel wie viele andere Vögel ziemlich heimlich.
Immer wieder treffe ich auf meinen Spaziergängen Menschen, die einen Bluthänfling für einen Karmingimpel halten. Ja, ein Bluthänfling-Männchen im Prachtkleid kann durchaus auf den ersten Blick für einen männlichen Karmingimpel gehalten werden. Aber eben nur auf den ersten Blick. Von daher lohnt sich also ein zweiter oder dritter Blick. Bluthänflinge haben lediglich eine rote Stirn (manchmal auch nur einen roten Fleck), keine rote Kehle und keinen roten Bürzel. Spätestens der Gesang verrät einem aber, welchen Vogel man vor sich hat. Abschließend gibt es noch Fotos zum Vergleich.