Vögel auf Rügen: Die Bartmeise (Panurus biarmicus)

Bartmeisen-Männchen im Juni 2020 auf dem Rügener Mönchgut. Bartmeisen sind DIE Kletterkünstler im Schilf.
Bartmeisen-Männchen im Juni 2020 auf dem Rügener Mönchgut. Bartmeisen sind DIE Kletterkünstler im Schilf.

Als ich mein erstes Bartmeisen-Männchen (Panurus biarmicus) im Mai 2015 auf Rügen erblickte und fotografierte, hatte ich keinen blassen Schimmer, welcher Vogel da so akrobatisch durchs Schilf turnte. Wirklich wahr. In der Ferienwohnung zeigte ich meiner Tochter, der Rangerin, die Fotos und konnte mit ansehen, wie sie angesichts der Vögel in entzückte Ekstase geriet: "Bartmeisen. Oh, wie schön. Die sieht man nicht so oft. Wo hast du die denn gesehen?" Inzwischen habe ich die wunderschönen Vögel in nahezu jedem Rügenurlaub beobachten können ... und gerate bei ihrem Anblick ebenfalls in entzückte Ekstase. So ein Bartmeisen-Männchen mit seinem markanten schwarzen Bart und den graublau-bräunlichen Farben kann man ja auch einfach nur toll finden. Und an eben diesem schwarzen Bart ist unschwer zu erkennen, weshalb die Vögel "BARTmeise" heißen. Nicht so leicht nachvollziehbar ist jedoch, warum sie "BartMEISE" heißen. Denn Bartmeisen gehören anders als zum Beispiel Blau- und Kohlmeisen oder Hauben- und Tannenmeisen nicht zur Familie der Meisen (Paridae). Bartmeisen gehören zur Familie der Panuridae und gehören als einzige Art der Gattung Panurus an. Mit einer Länge von ungefähr 14 bis gut 15 Zentimetern sind die Vögel etwas kleiner als Spatzen und fallen trotz der auffallenden Zeichnung des Männchens in ihrem Lebensraum - ausgedehnten Schilfbeständen am Rande von Binnengewässern - auf den ersten Blick kaum auf. Erst wenn sie sich bewegen, auffliegen oder ihre charakteristischen tsching-tsching-Rufe erklingen, wird man auf sie aufmerksam. 

Fremde Männchen sind im Brutrevier nicht gern gesehen, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Fremde Männchen sind im Brutrevier nicht gern gesehen, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Der Revierinhaber ist stets aufmerksam und beobachtet die Umgebung, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Der Revierinhaber ist stets aufmerksam und beobachtet die Umgebung, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.

Anders als die meisten anderen Singvögel singen Bartmeisen übrigens nicht. Die Männchen sind wahre Angeber und vollführen eine regelrechte Show, um ein Weibchen für sich zu gewinnnen. Sie stellen protzig ihr Gefieder zur Schau und machen sich groß, um die holde Weiblichkeit zu beeindrucken und können ziemlich rabiat werden, wenn Nebenbuhler in ihrem Brutrevier auftauchen. Bartmeisen-Männchen haben ihr Revier unablässig im Blick.

Ein adultes Bartmeisen-Weibchen beim Sammeln von Schilfrispen zum Auspolstern des Nestes, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Ein adultes Bartmeisen-Weibchen beim Sammeln von Schilfrispen zum Auspolstern des Nestes, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.

Männchen und Weibchen finden nicht selten bereits in der Jugend zueinander und bleiben dann ein Leben lang zusammen. Der Nestbau, das Bebrüten der Eier und die Jungenaufzucht erfolgen gemeinsam. Das Nest wird in Wassernähe im Schilf knapp über dem Wasser oder dem Boden aus vorjährigen Halmen gebaut. Von oben oft ebenfalls mit Halmen bedeckt ist das napfförmige Nest fast unsichtbar. Zusätzlich wird es mit weichen Schilfrispen ausgelegt. Während der Zeit des Nestbaus kann man deshalb relativ oft männliche und weibliche Bartmeisen mit Schilfrispen im Schnabel beobachten. In der Regel brüten Bartmeisen zwei Mal im Jahr. Nach dem Verlassen des Nestes bleiben die Jungvögel noch ziemlich lange in der Nähe der Eltern. Ich habe nicht nur einmal Bartmeisen beobachtet, die bereits beim Bau des zweiten Nestes waren und von der Schar Jungvögel aus der ersten Brut begleitet bzw. belagert wurden. Allerdings wurden sie von den Altvögeln nicht mehr beachtet, was sie jedoch nicht davon abhielt, die Eltern anzubetteln, sobald sie auftauchten. Letztendlich musste der Nachwuchs schließlich selbst auf die Suche nach Samen und Insekten gehen. Im Herbst hingegen konnte ich oft Trupps aus Jung- und Altvögeln auf der Nahrungssuche beobachten, manchmal bis zu zehn Tiere. Anders als das kontrastreiche, farbige und auffallende Männchen sind die erwachsenen Weibchen eher unscheinbar gefärbt - wie das in der Vogelwelt so oft der Fall ist. Im Gefieder des Weibchens fehlen der schwarze Bart und die graublauen Farbtöne. Die Farben des Weibchens beschränken sich auf Braun- und Beigetöne. Gemeinsam ist beiden Geschlechtern der auffällig lange Schwanz und die helle Brust. Jungvögel sind grundsätzlich weibchenfarbig, wirken aber insgesamt dunkler und farbiger als adulte Weibchen.

Jungvögel sind weibchenfarbig, allerdings dunkler und farbiger als diese, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Jungvögel sind weibchenfarbig, allerdings dunkler und farbiger als diese, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Im Vergleich dazu ein erwachsenes Weibchen mit Nistmaterial im Schnabel, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Im Vergleich dazu ein erwachsenes Weibchen mit Nistmaterial im Schnabel, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.

Jungvögel sind grundsätzlich weibchenfarbig, wirken aber insgesamt dunkler und farbiger als adulte Weibchen, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Die Jungvögel der ersten Brut der ersten Brut bleiben noch eine Weile in der Nähe der Altvögel, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Obwohl das Männchen schon mit dem zweiten Nest beschäftigt ist, wird er vom ersten Nachwuchs permanent verfolgt, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.
Obwohl das Männchen schon mit dem zweiten Nest beschäftigt ist, wird er vom ersten Nachwuchs permanent verfolgt, Juni 2020, Mönchgut/Rügen.

Wie bereits erwähnt, leben Bartmeisen Schilfgebieten an Binnengewässern, zu denen auch die Rügener und Darßer Bodden gehören. Unser größtes Süßgras, das Schilfrohr (Phragmites australis), ist also die wichtigste Pflanze für diese Vögel.  Es liefert nicht nur Tarnung und Material für den Nestbau - seine Samen stellen außerdem eine wichtige Nahrungsquelle für die Bartmeisen dar. Ist der Schilfbestand von anderen samentragenden Pflanzen durchsetzt und wird nicht großflächig gemäht, werden Bartmeisen nicht lange auf sich warten lassen. Denn verschiedene Pflanzen stellen sicher, dass den Bartmeisen auch im Winter ein vielfältiges Nahrungsangebot in Form von Samen zur Verfügung steht. Ich habe außerdem beobachten können, dass Bartmeisen-Trupps im Spätherbst regelmäßig Gehölze in der Nähe der Schilfgebiete aufsuchten, um dort nach Nahrung zu suchen.

Ausgedehnte Schilfgebiete sind die Heimat der Bartmeise, Mönchgut/Rügen.
Ausgedehnte Schilfgebiete sind die Heimat der Bartmeise, Mönchgut/Rügen.

Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, bleibt ein Teil der Bartmeisen im angestammten Brutrevier, während die Jungvögel abwandern. Grund dafür ist die Tatsache, dass Schilfgebiete räumlich stark begrenzt sind und nicht allen Individuen eine Lebensgrundlage bieten können. In besonders strengen Wintern wandern zudem alle Bartmeisen ab oder kommen zu Tode. Die leeren Reviere werden dann im Frühjahr von umherziehenden Bartmeisen neu besetzt. Bartmeisen sind insgesamt unstete Vögel, die zwar keine langen Wanderungen in südliche Gebiete der Erde unternehmen, aber zwischen verschiedenen Gebieten hin- und herziehen. Es kann also gut sein, dass man in den Wintermonaten keine einzige Bartmeise hört oder sieht, ab dem Frühjahr aber sehr wohl auf die wunderschönen und interessanten Vögel trifft. Da Schilfgebiete zu jenen Habitaten gehören, die stetig abnehmen und nur noch selten ungestört von menschlichen Aktivitäten existieren, ist es um die Bartmeisen in Deutschland nicht besonders gut bestellt. Welch ein Glück für mich, dass ich die hübschen und interessanten Vögel bisher mehrmals beobachten oder wenigstens hören konnte, zum Beispiel in den Schilfgebieten des Rügener Mönchguts und Jasmunds sowie am Darßer Ort. Egal, ob sie sich zeigen oder nicht, ob mir ein Foto gelingt oder nicht - ich bin einfach nur glücklich darüber, dass sie da sind.  Übrigens: Es sollte es selbstverständlich sein, dass Schilfgebiete nicht betreten werden. Auch wenn sie nicht in Schutzgebieten liegen, handelt es sich um ein sehr sensible Ökosysteme, in welchen unzählige Tiere und Pflanzen leben.

Literatur:

Für diesen Blogartikel habe ich das Buch "Das BLV Handbuch Vögel - Alle Brutvögel Mitteleuropas" von Einhard Bezzel, Gräfe und Unzer Verlag GmbH München, 2. Auflage 2019, ISBN 978-3-8354-1908-7 zu Rate gezogen.